Wenn sich eine Brauerei nach einem Heiligen benennt, kann dies durchaus ein Marketing-Gag sein. Nicht so im Fall der St. Feuillien-Brauerei. Ihr Firmensitz gründet sich auf dem Gelände eines ehemaligen Klosters, das vor rund neun Jahrhunderten dem Andenken eben jenes Feuillien gewidmet wurde. Doch das ist nur der Beginn einer durchaus wechselvollen und gleichsam interessanten Firmen-Geschichte. Ich habe mir die Örtlichkeiten im Rahmen einer Führung einmal näher angeschaut.
Seit Jahren stolpere ich immer wieder über die Produkte der St. Feuillien Brauerei, ganz gleich ob unter anderem das St. Feuillien brune oder blonde, das Grand Cru, das eigens fürs Kulturhauptstadt-Jahr 2015 in Mons produzierte "Car d'Or" oder das charaktervolle "Saison". Leicht ist bei mir der Eindruck entstanden, dass es sich dabei um einen riesigen, anonymen Industrie-Betrieb handelt. Umso mehr war ich erfreut, als ich erstens erfuhr, dass die Brauerei Führungen anbietet und sie zweitens günstig an der Autobahn E40 Richtung Frankreich gelegen ist.
Führungen, wie übrigens bei vielen anderen Brauereien auch, finden ausschließlich am Wochenende statt. Der banale, wie nachvollziehbare Grund: Am Wochenende wird nicht gearbeitet, die Maschinen stehen daher still und machen eine Führung somit akustisch ungleich angenehmer und stressfreier. Kosten für die Führung: 8 Euro. Im Preis ist eine Bierverkostung nach Abschluss der Führung inbegriffen. Eine Anmeldung ist übrigens nicht erforderlich. Führungen finden dabei stets Samstags um 14 Uhr und Sonntags um 10:30 Uhr statt.
Mit einem Mord fängt alles an
Circa 20 Kilometer von Mons entfernt, nehme ich die Ausfahrt "Le Roeulx" (sprich: "Lö Rööh") und bin nach rund 3 Kilometern im gleichnamigen Ort. Das im typisch rötlichen Backstein erbaute Brauerei-Gebäude befindet sich mitten im Zentrum, gleich um die Ecke vom Marktplatz und Rathaus. Würde allerdings nicht ein großes Schild über dem Eingang hängen, könnte man den Firmensitz glatt übersehen.
Blick auf den Eingang zur St. Feuillien-Brauerei.
Blick in den Innenhof des historischen Teils der St. Feuillien-Brauerei.
Historischer Kieselgur-Filter im historischen Innenhof der St. Feuillien-Brauerei.
Unter der Blumenschale befindet sich der brauereieigene Brunnen.
Blick in den zweiten (modernen) Innenhof der St. Feuillien-Brauerei.
Lecker! Kubikmeterweise Bier: Die Stahltanks haben eine Größe
von geschätzt 12 Meter und einen Durchmesser von 3 Meter.
Blick in die historische Schrotmühle unterm Dach der historischen Anlage
der St. Feuillien-Brauerei.
Über dieses Maschinenteil gelangt das geschrotete Malz vom oberen Stockwerk
eine Etage tiefer in den Maisch-Bottich.
Blick in den Maisch-Bottich der historischen Anlage der St. Feuillien-Brauerei.
Blick auf den Maisch-Bottich der historischen Anlage der St. Feuillien-Brauerei.
Ein weiterer Blick auf den Maisch-Bottich der historischen Brau-Anlage
der St. Feuillien-Brauerei.
Blick in einen Brau-Tank der historischen Brau-Anlage der St. Feuillien-Brauerei.
Maschinenteil zum Abpumpen und Filtern der Würze im historischen Teil
der St. Feuillien-Brauerei.
Blick in die historische Abteilung der St. Feuillien-Brauerei. Über die Räder wurde früher mit Hilfe von Lederriemen die Maschinerie in Betrieb genommen.
Blick auf die moderne Brauanlage, die wie in einer Produktionsstraße sämtliche Brauschritte in verschiedenen, sukzessive einander folgenden Abteilungen beschreibt.
Obwohl die moderne Brauanlage riesig ist, sind einzelne Brauprozess-Abteilungen
innerhalb der Anlage eher kompakt ausgelegt.
Die moderne Brauanlage der St. Feuillien-Brauerei umfasst zwei Etagen, was eine
effiziente Nutzung des zur Verfügung stehenden Platzes bedeutet.
Ein weiterer Blick auf Teile der modernen Brauanlage, hier im Erdgeschoss.
Im gesonderten Gär- und Reifungssaal - hier: zwei Reifungstanks - wird dem Bier Hefe zugesetzt, so dass die Gärung einsetzt. Nach Abschluss dieses Prozesses wird das Bier eine Zeit lang gelagert/gereift, bevor es abgefüllt wird.
Zwei Gärtanks in der St. Feuillien-Brauerei. Ob und wie der Gär-Prozess stattfindet, lässt sich im Schauglas vor den vertikalen Gärtanks verfolgen.
Über Rohrleitungs-Konsolen lässt sich die Würze/das Bier bequem
von den Gär- in die Reifungstanks umpumpen.
Ein weiterer Blick in den Gär- und Reifungssaal: Gärtanks sind vertikal,
Reifungstanks horizontal errichtet.
Über diese Gerätschaften wird der Würze automatisch und feindosiert
die Hefe zugesetzt.
In der brauerei-eigenen Gaststätte lässt sich St. Feuillien-Bier nicht nur trinken, sondern auch kaufen. Weitere Items wie Gläser und ähnliches, werden ebenfalls dort angeboten.
Die St. Feuillien-Brauerei hat über viele Jahrzehnte hinweg viele Preise und Auszeichnungen für ihre Produkte erhalten. Die Auszeichnungen von 2009 markieren da nur einen ganz kleinen Ausschnitt.
Hinter dem wuchtigen Eingangstor stehe ich zunächst in einem Innenhof, der von hohen, historischen Backstein-Gebäuden eingefasst wird. Hecken, kleine Rasenstücke, die sich mit Pflasterboden abwechseln sowie ein schmiedeeiserner Kieselgur-Filter als unumstrittener Hingucker der Örtlichkeit verströmen den Hauch des Historischen. Ein kleiner, unscheinbarer Durchgang lädt ein, die Örtlichkeit weiter zu erkunden. Plötzlich laufe ich an einer modernen Glasfassade entlang. Im Innern sind moderne Brauanlagen zu sehen. Am Ende dieses Gebäudes komme ich in einen weiteren Innenhof. Dort liegt schließlich die Brauerei-eigene Gaststätte, die den Treffpunkt für die Führung markiert. Neben den verschiedenen Biersorten können auch - Stichwort: Merchandising – diverse andere Produkte wie Gläser und dergleichen erstanden werden. Bei meiner Ankunft treffe ich auf eine handvoll weiterer Personen, die sich ebenfalls in die Welt der belgischen Braukultur entführen lassen wollen.
Auferstanden aus Ruinen: Moderner Produktionsbetrieb seit 1873
Nach kurzer Wartezeit gibt sich eine Dame mittleren Alters als Brauerei-Führerin zu erkennen und ihre erste Amtshandlung ist, die Sprache während der Führung festzulegen. Die Homepage vermerkt, dass Führungen in französisch, flämisch, englisch und deutsch möglich sind. Außer mir sind noch ein paar weitere Deutsche und ansonsten Belgier vor Ort. Doch französisch wird von allen akzeptiert. Allerdings ändert sich das rasch, als kurz nach Beginn der Führung weitere Gäste dazustoßen, die aus Spanien, Portugal, England und sogar Brasilien kommen. Anfänglich ein wenig mürrisch - schließlich verlängert sich die Führung dadurch - wird die Führung schließlich auf französisch und englisch abgehalten. Doch die Stimmung unserer Führerin ändert sich binnen kurzer Zeit sehr rasch.
Als erstes geht es in den ersten Innenhof zurück, dem historischen Teil des Brauerei-Komplexes. Wir erfahren vom Brauerei-eigenen Brunnen, aus dem das Wasser bezogen wird und der eher unscheinbar in einer Ecke neben dem historischen Brauhaus-Gebäude liegt. Dieses betreten wir als nächstes. Uralte Anlagen mit massiven Rohren, gekachelten Wänden und Maschinenteilen, die aussehen, als ob sie seit dem 19. Jahrhundert in Betrieb sind, finden sich darin. Allerdings bleibt (noch) keine Zeit, dies alles näher in Augenschein zu nehmen. Denn wir werden als erstes in den obersten Stock des Gebäudes gebeten und erfahren auf diese Weise, wie das Bier brauen in der St. Feuillien-Brauerei auf effiziente Weise geschieht.
Stephanie Friart: Self-made Woman im männerdominierten Brauerei-Gewerbe
Unterm Dach findet sich eine riesige Mühle in der das Malz für das anschließende Maischen geschrotet wird. Über eine Schüttung gelangt dieses eine Etage tiefer direkt in den Maisch-Bottich und von dort wiederum in die zwei Stockwerke hohen Brauerei-Tanks wo sie gefiltert und mit Hopfen und Hefe versehen wird. Im Erdgeschoss wird das Jung-Bier schließlich über Rohrsysteme abgepumpt. Mit diesem Top-Down-Verfahren ist das Bier brauen auf effiziente Weise platzsparend gewährleistet.
Außer Erläuterungen zum Brauerei-Prozedere und eingehenden Informationen zu den Rohstoffen, erfahren wir wie der Brau-Prozess abläuft. Die St. Feuillien-Biere werden nämlich in einem ersten Prozess ganz klassisch gebraut und anschließend zur Reifung gelagert. Um den dabei auftretenden Schwund an Kohlensäure zu kompensieren, wird das obergärig gebraute Bier beim Abfüllen mit Zucker und Hefe versetzt, so daß eine Flaschengärung einsetzt, mit der die prickelnden Bläschen wieder ins Bier kommen.
Ein spannend aufgebauter Vortrag führt uns auch detailliert in die Geschichte der Brauerei ein, die mit einigen Besonderheiten aufwartet. So findet sich die Brauerei auf einem ehemaligen Kloster-Gelände, das seinerzeit zu Ehren und zum Andenken des irischen Mönches „Foillan“ errichtet wurde. Aufs Festland entsandt, wollte er die Bevölkerung zum Christentum bekehren. Doch er wurde ermordet und der Tatort entwickelte sich rasch zu einer beliebten Pilgerstätte für den nunmehr avancierten Märtyrer. Rund 400 Jahre später im Jahr 1125 wurde ihm zu Ehren – aber auch, um der Schar der Pilger Herr zu werden – ein Kloster an eben jenem Platz errichtet. Bereits zu dieser Zeit wurde dort Bier gebraut. In den Wirren der französischen Revolution wurde dem 1796 allerdings ein Ende gesetzt. Rund 80 Jahre später im Jahre 1873 - das Kloster war da schon geschleift - entsann sich Stephanie Friart dieser alten Tradition und initiierte die Gründung und den Aufbau der Brauerei. Wenig später trug die Brauerei zu Ehren des heilig gesprochenen Feuillien seitdem seinen Namen. Dass es gerade eine Frau war, die den Brauerei-Betrieb nicht nur initiierte, sondern auch vorantrieb - wir sind immerhin noch im 19. Jahrhundert - ist nicht nur bemerkenswert, sondern auch einzigartig. Denn bis heute liegt das Bier brauen doch zumeist in Männerhand.
Historische und moderne Brauanlagen Seit an Seit
Bemerkenswert: Wir erfahren auch, dass die Anlagen in diesem historischen Teil der Brauerei noch bis in die 2010er Jahre in Betrieb waren. Wir wechseln die Örtlichkeit und begeben uns als nächstes in den modernen Produktionsbetrieb, der hinter der eingangs erwähnten Glasfassade liegt. Im Innern erwartet uns eine stählerne, chromblitzende Anlage, die über zwei Etagen hoch ist. Alles ist peinlich sauber gehalten und sieht so aus, als ob es gerade erst in Betrieb genommen wurde. Ähnlich wie in der Produktions-Straße eines Automobil-Konzerns kommen die Rohstoffe zusammen und durchlaufen in einer fest gelegten Abfolge eine Reihe von Maschinen und Behälter, die per Rohre aneinander angeschlossen sind. Obwohl es die gleichen Arbeitsschritte sind wie zuvor im historischen Gebäudeteil erläutert (Schroten, Maischen, Kochen, Filtern, etc.) verströmt diese Halle das Flair eines effizient und hochpräzise arbeitenden Hochleistungsbetriebs. Von den einzelnen Brau-Schritten ist in dieser Anlage nichts mehr zu sehen. Alles ist hermetisch und hygienisch abgeschlossen. Auffallenderweise findet sich in dieser Halle auch noch Platz für eine Fass-Abfüllanlage, die gut ein Drittel der Hallenfläche einnimmt. Die Flaschenabfüllanlage befindet sich indessen in einem Gebäude außerhalb des Ortskerns. Während der Erläuterung der Abläufe in dieser Halle wird unser Augenmerk auf eine eher banal wirkende Reihe weißer Kunststoff-Schläuche im ersten Stock der Anlage gelenkt. Hierbei handelt es sich um eine Filtrations-Anlage, wie sie laut Führerin, in ganz Belgien wohl einzigartig ist.
Wir verlassen diesen Saal und gelangen in der dritten Station unserer Führung in den Gär- und Reifungs-Saal. Dort stapeln sich horizontal eine Reihe gewaltiger Stahltanks, die jeder für sich in etwa die Dimension eines Tanklasters besitzen. Hinter Schaugläsern, die mit mächtigen Rohren verbunden sind, sehen wir, wie die Hefe ihre Arbeit verrichtet und den Zucker der Maische in Alkohol verwandelt, wobei als Nebenprodukt Kohlensäure entsteht. Doch das, was wir da sehen ist kein leises Blubbern, sondern eine heftige Entladung von Kohlendioxid, die im Innern der Tanks die Flüssigkeit aufs heftigste durchschüttelt. Weitere Tanks, die in mehreren Etagen übereinander gelagert sind, enthalten unterschiedliche Sorten des Brauerei-Sortiments, die zurzeit gelagert und gereift werden. Wie erwähnt, wird das Bier nach Abschluss der Reifung später mit Zucker und Hefe versetzt und über die Abfüllanlagen in Flaschen und Fässer verkaufsfertig gemacht. Eine Reihe unterschiedlicher Gebinde stapeln sich übrigens im Innenhof und den Zugängen.
Erfolgreicher, preisgekrönter Betrieb
Nach über 90 sehr kurzweiligen Minuten endet die Führung am Ausgangspunkt: Der Gaststätte. Sehr schön: Die Ausführungen unserer Führerin, werden immer wieder durch Zwischenfragen der Besucher unterbrochen, die geduldig und auskunftsreich beantwortet werden. Die anfängliche Genervtheit unserer Führerin, so mein Eindruck, weicht von Zwischenfrage zu Zwischenfrage immer mehr und plötzlich ist sie in ihrem Element. Auf diese Weise erhalten wir eine spannende und interessant aufbereitete Führung die das Eintrittsgeld in jedem Fall wert ist. Sehr sympathisch ist, dass der fällige Obulus für die Führung erst jetzt einkassiert wird. Währenddessen probiere ich mich mit den anderen Teilnehmern durch das Sortiment von St. Feuillien. Schade für mich ist nur, obwohl der Zapfhahn deutlich das Gegenteil sagt, dass das eingangs erwähnte Car d'Or nicht mehr hergestellt wird. Es wurde ausschließlich für das Kulturhauptstadt-Jahr 2015 produziert. Dabei zeichnet es sich im Vergleich zum Rest des Sortiments durch eine charakteristische Hopfen-Note aus, die ganz leicht in Richtung India Pale Ale geht. Zusammen mit der Fruchtigkeit des Malzes ergibt dies eine höchst eigentümliche Melange, die im Sortiment von St. Feuillien ansonsten gar nicht anzutreffen ist. Aber wer weiß, vielleicht wird es ja unter einem anderen Namen wieder geboren. Lohnen würde es sich in jedem Fall.
Unterm Strich ist ein Besuch der St. Feuillien-Brauerei ohne Wenn und Aber zu empfehlen. Die kurzweilige Führung versteht es auf kongeniale Weise das Historische mit dem Modernen zu verbinden, was nicht alltäglich ist. Ich habe durch diese Führung jedenfalls einmal mehr die Faszination des Bierbrauens erfahren und die Wertigkeit des Produkts erneut schätzen gelernt.
Infos:
Brasserie St. Feuillien
Rue d'Houdeng 20
B-7070 Le Roeulx
Tel.: 0032 6431 1818
www.st-feuillien.com
Führungszeiten:
Samstags 14:00 Uhr
Sonntags 10:30 Uhr
Gruppenführungen (ab 10 Personen) nur nach vorheriger Anmeldung an jedem Tag in der Woche möglich
Eintritt:
Erwachsene: 8,- Euro
Kinder (6 - 17 Jahre): 3,- Euro
Kinder (jünger als 6 Jahre): gratis
Kurz-Steckbrief St. Feuillien-Brauerei
Die St. Feuillien-Brauerei wird bis heute in fünfter Generation von der Familie Friart betrieben. Das Sortiment umfasst zurzeit elf verschiedene Biersorten:
- Blonde
- Brune
- Triple
- St. Feuillien de Noel
- Grand Cru
- Saison
- Belgian Coast IPA
- Grisette Fruits des Bois
- Grisette Triple
- Grisette Blanche Bio
- Grisette Blonde Bio
Die St. Feuillien-Brauerei ist Mitglied in der Vereinigung der „Belgian Family Brewers“, einer Non-Profit-Organisation, die für die Tradition und Qualität des belgischen Biers steht. Der Gesamt-Jahresaustoß im Jahr 2014 betrug stattliche 40.000 Hektoliter. Damit zählt St. Feuillien zu den in Belgien landesweit vertretenen und erhältlichen Biermarken. Außer in Belgien werden die Produkte von St. Feuillien auch in die Länder Frankreich, USA, Japan, Dänemark und Italien exportiert. Über die Jahre erhielt St. Feuillien unzählige Preise und Auszeichnungen für ihre Produkte, so etwa 2009 den World Beer Award für ihr Saison und Triple oder 2016 für ihr Grisette Blanche Bio in der Kategorie „belgisches Weißbier“. Das Grisette Blonde Bio wurde im gleichen Jahr direkt in drei Kategorien mit Gold ausgezeichnet.